Das Gottesacker-Kirchlein in Pfronten
Im August dieses Jahres beschloß der Gemeinderat Pfronten neben dem Friedhof in Berg ein neues Leichenhaus zu errichten. Nachdem mit dem darin geplanten Raum für die Bestattungsfeierlichkeiten eine letzte mögliche Nutzung der benachbarten Friedhofskapelle vertan zu sein scheint, möge der folgende Artikel daran erinnern, mit welch persönlichen Opfern die Pfrontener Bürger zum Bau des Gottesackerkirchleins beigetragen haben.
In seinem vortrefflichen Werke: „Das Bistum Augsburg, historisch und statistisch beschrieben“, Augsburg 1876 berichtet der damalige Domprobst von Augsburg, Anton von Steichele: „Ein neuer Gottesacker wurde (für die Pfarrgemeinde Pfronten) im Jahre 1835 durch den Pfarrer Magnus Jocham, welcher im Jahre 1841 als Professor der Theologie nach Freising berufen wurde, außerhalb des Ortes Pfronten-Berg angelegt, eine Kapelle gotischen Stils, in einfachen gefälligen Formen, erstand im Jahre 1841 auf demselben; ihr Altar trägt ein geschnitztes Crucifix-Bild aus dem 15. Jahrhundert. In sie sind neun Jahres-messen gestiftet: ihr Vermögen besteht in 5970 Gulden Kapital“
Da uns eine Aufschreibung aus dem Jahre 1842 über die Veranlassung zum Baue dieses noch ganz jungen Kirchleins und über die Bauführung selbst vorliegt, so wollen wir dieselbe zur Ergänzung, zur Berichtung und zur weiteren Ausführung dieser kurzen Notiz den Lesern von „Alt-Füssen" mitteilen. Handelt es sich hier auch nicht um einen altehrwürdigen Kunstbau und sind auch der Merkwürdigkeiten, welche das Kirchlein enthält, nur wenige, so dürfte doch selbst das Zustandekommen desselben einiges Interesse beanspruchen. Wir geben alles getreu, wie es in den 1 Jahr nach dem Bau geschriebenen Aufzeichnungen vor uns liegt.
„Wo wir sind bayrisch geworden“, - so fing man noch vor 10 - 20 Jahren in unserer Gegend jede Erzählung an, in der man von einer Änderung oder neuen Anordnung Bericht geben wollte, - d.h. als das weltliche Gebiet des Fürstbischofs von Augsburg, zu dem Pfronten seit mehreren Jahrhunderten gehört hatte, in Folge des Reichsdeputationshauptbeschlusses von anno 1803 dem Bischof abgenommen und dem Churfürsten von Bayern Maximilian IV. zugeteilt worden war, erging alsbald eine churfürstlich bayerische Verordnung an die Untertanen der neuaquirierten Länder, gemäß welcher in allen Städten und Städtchen und Märkten die Verstorbenen nicht mehr in der nächsten Umgebung der Pfarrkirche, wie bisher geschehen, begraben werden durften, sondern an einem eigens dazu hergerichteten entfernteren Ort, den man dann den Friedhof oder auch Gottesacker benamsen könne. Pfronten war keine Stadt und kein Markt, aber dennoch ein bedeutender Ort, und man glaubte, die erwähnte churfürstliche Verordnung gelte auch der Pfarrei Pfronten. Schon seit längerer Zeit bestand daselbst außer dem Gottesacker in der Umgebung der Kirche ein etwa 400 Schritt von der Kirche gegen Westen hin gelegener Friedhof, der für arme Leute und für Fremde als Begräbnisstätte diente.

Dieser Platz ward nun als Gottesacker für die ganze Pfarrgemeinde erklärt. In den Familiengrabstätten nächst der Pfarrkirche durfte Niemand mehr begraben werden.
Dieser neue Gottesacker wurde zwar von allen Pfarrangehörigen, die Eltern oder Kinder oder Verwandte auf demselben hatten begraben lassen, sehr fleißig besucht; denn die liebende Sorgfalt für die Verstorbenen und das Gebet um eine selige Ruhe für dieselben ist nicht leicht irgendwo eifriger als in Pfronten, allein außerdem wurde diese neue Begräbnisstätte sehr stiefmütterlich behandelt. Noch gegen das Ende der dreißiger Jahre, ja, bis zum Jahre 1841 war der Gottesacker nur mit einer Dornhecke und anderem Gebüschwerk umzäunt.
Es stand ein einfaches Crucifix in einer Nische gegen Westen, und im Herbste drangen nicht selten die in der Umgebung weidenden Kühe durch das sehr primitive Gehänge und rieben sich an den eisernen Kreuzen und den wenigen steinernen Monumenten.
Das Verlangen nach einem schöneren Gottesacker und nach einem Bethause auf demselben mochte schon längere Zeit in den Pfarrgenossen geschlummert haben, ohne sich vernehmen zu lassen. Auf einmal hieß es allgemein: Wir müssen etwas auf unseren Gottesacker verwenden, da muß es anders werden. Man sollte doch sehen, daß es ein christlicher Gottesacker ist." Was aber geschehen sollte, konnte niemand recht sagen. Einige meinten, man sollte ein neues, großes Crucifix aufstellen und die Nische erweitern und verschönern.
Andere meinten, man solle eine Totenhalle bauen, in welcher der Pfarrer und ein Teil der Leidtragenden während der Leichenrede bei schlechtem Wetter unterstehen könnten. Wieder andere hatten wieder andere Gedanken.
Am Allerheiligentage 1840 kam abends der damalige Gemeindepfleger Franz Hotter von Pfronten-Kreuzeck zum Pfarrer. Beiden war beim feierlichen Gräberbesuch, da man von der Pfarrkirche aus in feierlicher Prozession auf den Gottesacker gegangen war, das Armselige dieses Begräbnisplatzes für eine so große Pfarrkirche recht zu Herzen gegangen. Beide waren, wie die Mitglieder der Gemeinde, der Überzeugung, es müsse da etwas zum besseren geschehen. Sie begaben sich nochmals auf den Friedhof, auf dem noch am späten Abend mehrere Andächtige für die Verstorbenen beteten, und wollten sich beraten, was man denn bessern könnte.
„Wenn wir nur einen Steinbruch in der Nähe hätten," fing der Gemeindepfleger an, „dann müßte mir am östlichen Ende ein Kirchlein gebaut werden; alles übrige, was noch notwendig ist, würde sich dann bald geben. Ein Kirchlein müssen wir hier haben. Lassen Sie sich doch nichts einreden von einer Halle, Herr Pfarrer. Wenn wir nur einen Steinbruch hätten." Der Pfarrer, der sich früher etwas mit Geognosie befaßt hatte, entgegnete ihm rasch: „Eben wo wir stehen, ist Sandstein und sicherlich kein schlechter. Das wäre sehr gelegen. Da könnte der Steinbrecher dem Maurer sogleich die Steine bieten, und man brauchte keine Handlanger." Darauf sagte Hotter:, Wenn's so ist, wie Sie meinen, dann ist die Sache schon halb fertig."
Am Allerseelentag nach dem Gottesdienst brachte Hotter den Gemeindediener, der sich aufs Steinbrechen verstand, mit sich in den Pfarrhof. Man wolle den Platz untersuchen, meinten die beiden Männer, der Pfarrer solle mitgehen.
Der Gemeindediener sei auch der Meinung des Pfarrers, und ihn habe schon oft gewundert, wie die Leute ihre Steine aus der Vils zusammenlesen und weit herauffahren mögen, da sie weit bessere in der Nähe haben könnten. Schaufeln und Pickeln waren schon an der Stelle. Es wurde ein wenig abgeräumt und alsbald zeigte sich vortrefflicher Standstein. „Dieser Stein ist gut brechen, denn er hat ganz schöne Lagerungen, und auf Wirbel, die mit Pulver gesprengt werden müßten, wird man nicht leicht stoßen", sagte der Gemeindediener.
Von diesem Tage an arbeitete Lochbihler, so hieß der Gemeindediener, Stunde für Stunde, wo er nicht im Gemeindedienst zu schaffen hatte, im Steinbruche und der Pfarrer war die meiste Zeit bei ihm, half ihm und lernte bald von ihm die beim Steinbrechen anzuwendenden Vorteile. Oft, wenn man meinte, es müsse gebohrt und mit Pulver gesprengt werden, wußte er noch einen Ausweg, der schneller und sicherer zum Ziele führte und weniger kostete. Dies Alles hatte ihm der Pfarrer bald abgelernt. Dies war in der Folge sehr vorteilhaft.
„Wenn man zu bauen anfängt, muß man alsbald das Gerüste aufrichten," erklärte eines Tages der Gemeindepfleger dem Pfarrer. ,Zu Gerüsten aber und später zum Bodenlegen braucht man Bretter. Wir müssen Bretter betteln, Herr Pfarrer, und wir wollen damit gleich heute in Kappel anfangen, wo man eben das Martinifest feiert." Dies geschah, und zwar nicht allein im Dorfe Kappel, sondern in der ganzen Pfarrei. Das Resultat dieses Bretterbettelns war außerordentlich befriedigend. Während des ganzen Baues und selbst bei Herstellung der zwei Türen und des Fußbodens hatte man keinen Kreuzer für Bretter ausgegeben. Ja, es blieben noch Bretter zur Anfertigung der Betstühle für das neue Kirchlein.
Nun war das Notwendigste für die Arbeit der Maurer besorgt. Allein eine Kirche braucht auch Gebälk und Dachstuhl und vieles Andere, was in den Bereich der Zimmerleute gehört. Auch dieses Holzmaterial sollte man um Gotteslohn bekommen. Dieses geschah wirklich. Die Gemeindeverwaltung bewilligte mit Freuden das für den Bau des Kirchleins notwendige Bauholz aus der Gemeindeverwaltung, ohne irgend eine Gegenforderung zu machen.
Indessen hatte der Kunstmaler Franz Osterried von Pfronten den Plan zu einer im einfach gotischen Stile zu erbauenden Gottesackerkirche entworfen und zur Genehmigung an die k. Akademie nach München gesendet. Es geschah dies auf confidentiellem Wege. Der alte Professor an der Akademie, Conrad Eberhard, war der Vermittler dieses Bittgesuches. Der Plan ward durchweg gut geheißen. Das Kirchlein mußte dem Plane gemäß 64 Fuß in der Länge, 34 Fuß in der Breite und 30 Fuß in der Höhe bekommen. Von einem gotischen Gewölbe hatte man die Genehmigung der Akademie Umgang genommen. Profess. Eberhard sendete den genehmigten Plan zurück mit der Bemerkung: „Wenn der Pfarrer auf eigene Kosten baue, soll er ein andermal nicht so weit umfragen." Da meinte der Pfarrer, er habe schon zu weit gefragt, und vergaß sogar die Genehmigung des Bischofs nachzusuchen, was ihm später Verdruß bereitete.
Nun war für Vieles gesorgt, allein eines fehlte doch fast gänzlich - das Geld. Man sagt sonst, zum Bauen brauche man Geld und wieder Geld und abermals Geld.
In Pfronten war dies nicht so ganz richtig. Da war das Erste und Wichtigste die Bereitwilligkeit der ganzen Gemeinde, durch mitwirkende Tätigkeit, den Bau zu fördern, ohne eines Lohnes zu gedenken. Allein die Maurer, die Zimmerleute, die Mörtelmacher, die wochenlang in Arbeit standen, mußten doch ihren Taglohn erhalten. Der Pfarrer war von Anfang entschlossen, keinen Menschen um Geldbeitrag anzusprechen, und dabei ist es auch geblieben bis ans Ende.
Ohne sein Zutun waren ihm 300 fl. von einzelnen Wohltätern zugekommen. Dies war alles, was er erhalten. Er wollte selber etwas beitragen zu diesem gottgefälligen Werke, wofür die ganze Gemeinde außerordentlich begeistert war, und zu dessen Förderung sie aus allen Kräften mitzuwirken sich bereit erklärte. Er hatte während der vierhalb Jahre sich einige hundert Gulden erspart und zudem gegen 300 fl. als Honorar von der Buchhandlung erhalten. Das alles solle als Opfer dargebracht werden. Nach seiner oberflächlichen Berechnung konnte dies auch mit den geschenkten 300 Gulden genügen.
Ein großes Glück war es für den Pfarrer, daß er den trefflichen Künstler Osterried an der Seite hatte. Er selbst hatte in seiner Studienzeit fast gar keine Kunststudien gemacht. Erst durch Osterried war ihm einige Kenntnis der Kunstgeschichte beigebracht worden. Erst durch diesen seinen Freund hatte er einigen Sinn für die altdeutschen Kunstwerke bekommen. Von diesem vorzüglichen Kunstkenner ließ er sich durchweg leiten, und daran hat er, wie sich es später herausgestellt hat, sehr wohl getan.
Kaum war der Winter vorüber, so begann man an dem Werke zu arbeiten aus allen Kräften. Die jungen Burschen der Gemeinde gingen sonst insgemein im Frühjahre in die Schweiz oder ins Elsaß, um als Steinhauer oder Maurer oder beides zugleich Arbeit zu erhalten und Geld zu verdienen. Diesmal blieben mehrere zu Hause, in der Hoffnung, daß sie beim Bau des Kirchleins Arbeit und Verdienst bekommen würden. Es arbeiteten nun anfangs Tag für Tag sechs bis acht junge Männer an dem Bau. Beim Graben des Fundaments war man auf der Nordseite gar bald auf den Felsengrund gestoßen. Umso tiefer mußte das Fundament auf der Südseite gegraben werden, damit das Ganze gleichmäßigen festen Stand erhielt.
Es war eine Freude, diese geschickten und fleißigen Maurer arbeiten zu sehen, unermüdet den ganzen Tag. Dafür erhielt jeder Einzelne 40 kr. Taglohn. Am Sonntag hatte sie der Pfarrer auszubezahlen. Außer diesen Maurern und Steinhauern hatte nur der Steinbrecher und der Mörtelmacher, wenn er im Steinbruch arbeitete, einen Taglohn. Alle Handlangerdienste wurden unentgeltlich vollbracht. Die guten Leute erhielten weder Kost noch sonst eine Vergütung, und arbeiteten unermüdet vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Das Ganze hatte fast einen gottesdienstlichen Charakter. Es war wahrhaft erbaulich, diese Leute im Herbeischaffen des notwendigen Materials, im Mörteltragen, im Steineheben und -bieten mit einander wetteifern zu sehen. Der Pfarrer war fast immer dabei. Nur der Schul- und Krankenbesuch konnte ihn davon abhalten. Hatte man beim Bau Feierabend gemacht, dann ging der Pfarrer von Dorf zu Dorf, um die notwendige Anzahl von Arbeitern für den nächsten Tag zu erhalten. Dies war notwendig, denn sonst wären an einem Tage zu viele und am andern Tage vielleicht gar keine Handlanger gekommen, und er wäre das einzige Frohnleut gewesen. Später arbeiteten nur mehr vier bis fünf Männer am Kirchlein. Da brauchte man weniger Frohnleute, allein auch diese wenigen waren zur Zeit der Heuernte schwer zu bekommen. Waren wirklich zu wenig gekommen, so begab sich der Pfarrer in die Schule und bat den Lehrer, ihm von den größeren Schülern einige zu diesen Frohnarbeiten zu überlassen, damit die Arbeit der Maurer keine Unterbrechung leide. In solchen Notfällen arbeitete der Pfarrer wie jeder andere Frohnmann, nicht bloß als Steinbrecher, sondern auch als Mörtel- und Steinträger. Zudem hatte ihm der Maurermeister Zweng, der den Bau in aller Weise begünstigte, vielfach die Aufsicht über die Maurer und ihre Arbeiten übertragen, weil er selber auch noch andere Bauten aufführen mußte, die seine persönliche Gegenwart erforderten.
Die Hoffnung, daß der ganze Gottesacker gar bald ein freundliches Aussehen gewinnen werde, wenn nur einmal der Bau des Kirchleins im Werke sei, fand unerwartet schnell ihre Erfüllung. Das Kirchlein hatte kaum die Hälfte seiner Höhe erreicht, als die Gemeinde schon daran ging, den Friedhof um wenigstens ein Drittel zu vergrößern und denselben mit einer festen, freundlichen Mauer zu umgeben. Ein größeres Stück an dem anliegenden Acker, der zum Meßnergut gehörte, wurde zum Friedhof geschlagen. Der Meßner erhielt Entschädigung durch Überlassung eines anderen Grundes aus dem Gemeindegut. Noch im Frühherbst konnte der neuerworbene Teil des Gottesackers mit bischöflicher Erlaubnis vom Pfarrer eingeweiht werden. Die notwendigen Steine nahm man aus dem neuentdeckten Steinbruche.
Die Zimmerarbeit für das neue Kirchlein besorgte mit ausgezeichneter Gefälligkeit und mit großer Opferwilligkeit der Zimmermeister Friedel von Pfronten-Weißbach. Um Alles das, was in das, was in dieses Bereich gehört, hatte sich der Pfarrer gar nicht zu kümmern. Das Holz wurde im Gemeindewald gehauen, geschlagen und zur Baustätte unentgeltlich gefahren. Die Gerüste wurden aufgerichtet und erhöht, wo man derselben bedurfte. Der Dachstuhl lag schon fertig neben dem Kirchlein, ehe dieses die ihm zugedachte Höhe erreicht hatte.

Friedel bezahlte die Zimmerleute und legte nach vollendeter Arbeit die Rechnung vor, die schließlich in Allem und Allem kaum auf 300 fl. sich entzifferte.
Da man zur Ersparung vieler Arbeit die Fensteröffnungen und die breiten Portale mit Ziegelsteinen bauen wollte, so mußten auch die Ziegel herbeigeschafft werden, und weil damals die Ziegelei in Pfronten brach lag, so mußte man die Ziegel in Kempten kaufen und auf der Achse nach Pfronten befördern. Auch diese Fuhren wurden unentgeltlich von Pfarreiangehörigen geleistet, sowie die Herbeischaffung der Ziegelplatten zum Decken des Kirchendaches. Der Ankauf der notwendigen Ziegel und Platten mag ohnehin noch 300 fl. gekostet haben. Es war damals auch dieser Artikel noch sehr billig.
Während des Sommers hatten die Schreiner die Fensterstöcke, die Türpfosten und die zwei Tore gefertigt. Ja, Peterlestoni hatte sogar schon einige Betstühle für das neue Kirchlein geschreinert. Der Glaser hatte die hohen Fenster eingeglaset, und die Schlosser hatten geliefert, was ihres Handwerkes und für das Kirchlein notwendig war. Schon im August war der Mauerstock fertig und die Roharbeit der Maurer zu Ende gebracht.
Schon als der Bau noch nicht zwanzig Fuß erreicht hatte, war ein wohlmeinendes altes Weiblein der Meinung gewesen, jetzt wäre das Ding doch bald hoch genug. Der Steinbrecher antwortete ihr: „Ja, Mütterlein: wenn das Haus für euch als Spinnstube gebaut würde, dann wäre es schon zu hoch; allein es soll dies eine Kirche geben, und diese muß sich höher zum Himmel erheben." Damit war das Mütterlein zufrieden gestellt und der Bau wurde weiter fortgeführt, bis er die vorgeschriebenen 30 Fuß in der Höhe erreicht hatte.
Schon Anfang September konnte man an den Verputz des Kirchleins im Innern gehen. Das Äußere ließ man noch ohne Anwurf, damit das Ganze um so besser trocknen konnte. Ein Altar war von dem trefflichen Kunstschreiner Eberle in Pfronten-Steinach nach der Zeichnung Osterrieds gefertigt worden. Nun aber solle man einen Aufsatz auf den Altar, ein Bild oder eine Statue haben. Da wußte der edle Künstler Osterried guten Rat. An der Ostseite eines Hauses nächst der Pfarrkirche, man hieß es, wenn ich nicht irre, beim Philippen, hing schon seit unvordenklicher Zeit ein altes Kruzifix aus dem 15. Jahrhundert, ein Werk altdeutscher Kunst. Der Christus an demselben hat 4 Fuß 4 Zoll Länge. Wahrscheinlich war dieses Bild vor Jahrhunderten eine Zierde der Pfarrkirche. Dieses Kruzifix sollte nun nach dem Rate Osterrieds als das Hauptbild auf den Altar gestellt werden. Der bisherige Besitzer desselben war dessen zufrieden und freute sich, dieses Bild an das neue Kirchlein als Opfer geben zu können. Das Christusbild wurde vom Faßmaler Wolf sehr freundlich neu gefaßt und an einem neuen Kreuze mit entsprechender Fassung befestigt. Für die beiden Seiten des Kruzifixes verschaffte Osterried zwei Statuen, Johannes und Maria darstellend, ebenfalls Werke altdeutscher Kunst, aber um ungefähr 100 Jahre älter und fast um 1 Fuß kleiner als das Christusbild. Vier ganz stilgerechte Leuchter hatte Eberle in Steinach gefertigt, und so war Alles bereit und hergerichtet für die Einweihung des Kirchleins.
Merkwürdig! Während des ganzen Baues hatte sich von keiner Seite her ein Widerspruch oder eine Hemmung kundgegeben. Die Gerichts- und Baubehörden wußten, daß der Pfarrer die Genehmigung von der Akademie erhalten hatte und daß er auf eigene Kosten baue. Sie kümmerten sich gar nicht um den Bau, der vor den Augen aller Welt aufgeführt wurde. In der ganzen Gemeinde war Alles ein Herz und ein Sinn und Alles von dem Wunsche beseelt, daß das neue Kirchlein recht bald für den Gottesdienst eröffnet werden möchte. Dies sollte durch die feierliche Einweihung am Feste Allerheiligen geschehen. Jetzt erhob sich Widerspruch und scheinbar Hindernis von einer Seite, von der man es gar nicht erwartet hatte.
Der Pfarrer hatte schon mehrere Wochen vor Allerheiligen an das Bischöfliche Ordinariat die Bitte gestellt, es möchte ihm die gnädigste Erlaubnis gegeben werden, das neugebaute Gottesackerkirchlein benedizieren und in demselben die hl. Messe lesen zu dürfen. Von Woche zu Woche, von Tag zu Tag wartete er und die ganze Gemeinde auf die gnädige Entschließung. Immer vergeblich.
Endlich am Vorabend vor Allerheiligen kam ein Ordinariatserlaß an den Pfarrer mit gemessenem Auftrag, Adressat habe sich zu verantworten, aus was für einer Vollmacht er den Bau der Kirche unternommen habe, zu welchem Zwecke dieselbe dienen sollte, mit welchem Mittel der Bau aufgeführt worden, und wer in Zukunft den Unterhalt des neuen Gebäudes besorgen werde.
Es sind dies lauter Fragen, über die der Pfarrer seine bischöfliche Obrigkeit schon vor Beginn des Baues hätte aufklären sollen, denn der Bischof muß offenbar wissen, was für Kirchen in seinem Sprengel sind. Allein im Drange der Geschäfte und wohl auch in einer Art Unwissenheit hatte der Pfarrer nicht darauf geachtet. Er berichtete in einem gehorsamsten Antwortschreiben, die kgl. Akademie habe den Bauplan genehmigt und damit habe sich der Pfarrer irrtümlich zufrieden gegeben. Unter den früheren Pfarrern seien bei allen Leichen von Erwachsenen Leichenreden eingeführt worden, und da habe man gewünscht, daß Fürsorge getragen werde, daß in Zukunft beim Regenwetter der Pfarrer und die Leidtragenden einen Unterstand bekommen. Auch habe man die Verschönerung des Gottesackers und die Förderung des Gräberbesuches dabei im Auge gehabt. Das sei Alles durch den Bau des Kirchleins erzielt worden. Wenn die oberhirtliche Stelle die gnädigste Bewilligung zur Benediktion und zum Messelesen im neuen Kirchlein erteile, so werde auch von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht werden, und man habe dies schon Anfangs in Aussicht gehabt.
Für den ganzen Bau und für die gesamte Restauration des Gottesackers habe man keinen Heller weder aus einer Kirchenstiftung noch aus der Gemeindekassa, noch von Umlagen oder frommen Sammlungen erhalten. Man habe das Kirchlein gleichsam ohne Geld gebaut. Nur 300 fl. seien dem Pfarrer, ohne daß man darum gebettelt hätte, zu Händen gestellt worden. Das Übrige habe er selber bezahlt. Die ganze Pfarrgemeinde habe in musterhaftem Eifer durch Beischaffung von Baumaterial, durch unermüdliche, unentgeltliche Handlanger- und Frohndienste zur Förderung des Werkes das Allermeiste beigetragen und verpflichtete sich auch, für den Unterhalt des allbeliebten Kirchleins Sorge zu tragen. Zum Schlusse bemerkte er noch, es sei mit dieser Aufforderung zur Beantwortung zugleich durch das Berufungsdekret auf die erledigte Professur der Moraltheologie am kgl. Lyceum in Freising vom H. H. Erzbischof von München-Freising dem gehorsamst Unterzeichneten zugestellt worden und er bitte um die gnädigste Erlaubnis, seine Pfarrei verlassen zu dürfen.
Diese Episode brachte einigen Mißklang in das bisher so ganz harmonisch durchgeführte Kunststück. Alles hatte sich auf den Tag der Einweihung des Kirchleins gefreut, jetzt sollte es gar nicht zu einer Einweihung kommen. Einige sprachen schon davon, man müsse das Kirchlein wieder abbrechen, es gehe jetzt wieder gerade so, wie damals „wo wir sind bayerisch geworden". Da habe man auch viele Kirchen und Kapellen niedergerissen. Bald wurde auch in der Gemeinde bekannt, daß der Pfarrer jetzt fortkomme. Einige Witzbolde wollten die Leute glauben machen, wenn der Pfarrer fortkomme, nehme er das Kirchlein mit. Kurz, man wußte nicht, was man von der Sache zu halten hatte.
Der Pfarrer war gerade mittels des Kirchenbaues mit der ganzen Pfarrgemeinde recht aufrichtig befreundet worden und gleichsam mit ihr zusammengewachsen. Das Scheiden von der geliebten Gemeinde fiel ihm sehr schwer. Während des letzten strapaziösen Sommers hatte er durch ungeschickte Führung eines ihm übertragenen Commissoriums seinem geistlichen Vorgesetzen Unwillen und Verdruß bereitet, ohne es im Geringsten zu beabsichtigen. Diese hohe Abgunst und Ungunst hielt er für viel größer, als sie wirklich war. Und diese Täuschung war es auch, was dazu mitwirkte, auf das Ansinnen des H. H. Erzbischofs einzugehen, und was ihm das Scheiden von seiner geliebten Gemeinde erleichterte.
Indessen war auf obige Rückantwort des Pfarrers vom hochwürdigsten Ordinariate allsogleich die nachträgliche Billigung des Baues, die Erlaubnis zur Benediktion des Kirchleins und die Fakultät, in demselben die hl. Messe zu celebrieren, an das bischöfliche Pfarramt Pfronten abgegeben worden, mit dem Bemerken, Pfarrer Magnus Jocham habe die Vollmacht, die Benediktion auch durch einen anderen Priester vornehmen zu lassen, und ihm werde die Erlaubnis erteilt, die ihm übertragene Professur anzutreten. Da Letzteres bald geschehen sollte, weil das Schuljahr schon begonnen hatte, so bat der bisherige Pfarrer seinen Gönner und väterlichen Freund, den Dekan und geistlichen Rat Josef Fox in Altdorf, der dreißig Jahre früher mehrere Jahre lang Kaplan in Pfronten gewesen war, diese Benediction vorzunehmen. Die ganze Pfarrgemeinde nahm an dieser Feierlichkeit den freudigsten Anteil, und das Gottesackerkirchlein, auf das so viele Mühe und so viel Schweiß aller Pfarrgenossen verwendet worden war, wurde nun ein beliebter, vielbesuchter Ort des Gebetes.
Der bisherige Pfarrer konnte bei seinem Abzuge der Gemeinde- und Kirchenverwaltung die Versicherung geben, es hafte kein Kreuzer Schulden an dem neugebauten Kirchlein. Es sei Alles bezahlt, und wenn noch irgend jemand glaube, eine Forderung machen zu können, so solle er sich melden. Kein Mensch meldete sich. Der Pfarrer hatte gewissenhaft Rechnung gehalten.
Als unter dem ersten Nachfolger dieses Pfarrers Allerlei für die Pfarrkirche angeschafft wurde, das durch fromme Sammlungen gedeckt werden mußte, verbreitete man die ganz unwahre Meinung, es seien dies Schulden vom Bau des Kirchleins, die der Pfarrer M. Jocham hinterlassen habe. Dagegen erklärte dann der zweite Nachfolger desselben, der durch den Gemeindepfleger Hotter über die ganze Baugeschichte getreu informiert worden war, und unter dem die frommen Sammlungen noch fortgesetzt werden mußten, frei und edelmütig vor der ganzen Gemeinde, Pfarrer M. Jocham habe alles bezahlt und keine Schulden hinterlassen. Diese Schulden seien durch die Anschaffungen seines Nachfolgers gemacht worden.
Zugleich übergab er vertrauten Männern der Gemeinde noch 100 Gulden, die ihm eines der Pfarrkinder in den letzten Tagen zur Anschaffung eines Kreuzweges für das neue Gottesackerkirchlein anvertraut hatte. Und so konnte er mit reinen, d. i. mit leeren Händen fortgehen. Als armer Pfarrer war er drei und drei-viertel Jahr früher in die Gemeinde gekommen, als armer Professor konnte er sie getrost und ruhig wieder verlassen am 16. November 1841.
Soweit geht die Aufschreibung vom Jahre 1842. Wir haben nur Weniges noch beizufügen. Das Gottesackerkirchlein blieb seit 40 Jahren ein Gegenstand besonderer Liebe und Verehrung der ganzen Gemeinde. Es wurden keine Kosten gescheut, dem Kirchlein Zierde und Schmuck zu verleihen, alles aber durch ganz freiwillige Opfer. Der Kunstmaler Josef Keller von Pfronten-Weißbach malte für 100 fl. einen sehr schönen Kreuzweg, für den er das doppelte verlangen hätte dürfen. Derselbe Künstler versah auch den Plafond mit einem sehr freundlichen Gemälde, um ein geringes Honorar. Er wollte auch ein Wohltäter des Kirchleins sein, und ward es in ausgezeichneter Weise. Es ward auch beantragt, daß zum ewigen Gedenken in die westliche Mauer im Innern der Kirche eine Steinplatte mit der Inschrift: „Die Pfarrgemeinde Pfronten und ihr damaliger Pfarrer Magnus Jocham haben dieses Kirchlein erbaut im Sommer des Jahres 1841." Ob dies wirklich geschehen ist, ist uns nicht bekannt. Aus dem erwähnten Werke des Herrn Erzbischofs von Steichele erfahren wir, daß das Kirchlein schon nahezu ein Vermögen von 6000 Gulden besitzt. Auch dieses ist ein Beweis dafür, daß die anfängliche Begeisterung für die Gottesackerkirche nicht abgeschwächt wurde, und daß die Opferwilligkeit dieses Völkleins nicht blos in freiwilliger Liebestätigkeit, wie sich beim Bau des Kirchleins in so musterhafter Weise gezeigt hat, sondern auch in Spendung von Opfergaben sich kund gibt. Die ganze Erzählung aber dürfte uns ein Beleg dafür sein, daß ein Seelsorger, der in Eintracht mit seiner Gemeinde lebt, leicht etwas weit Größeres zu Stande bringen könnte, als dies Kirchlein ist, wenn er einen ständigen Ratgeber an der Hand hat, und wenn er bei dem Werke nicht blos mitraten, sondern auch mittaten kann und will, wie die Alten sagen.
Entnommen dem Mitteilungsblatt des Heimatvereins Pfronten und Umgebung e.V., Nummer 15, Dezember 1984